Ein Projektbericht aus der Grauzone zwischen Technik, Recht und Ethik
Ich arbeite seit ein paar Monaten an einer Anwendung zur Arbeitszeiterfassung.
Technisch ist dieses Projekt übersichtlich – ein paar Modelle, Zeitstempel, Reports, vielleicht eine Mobile App.
Inhaltlich aber ist es deutlich anspruchsvoller, als ich am Anfang gedacht habe.
Während ich mich in anderen Projekten durch API-Dokumentationen klicke, wälze ich hier Gesetzestexte, Verordnungen und Gerichtsurteile.
Keine fest definierten Endpunkte, dafür ein Haufen „könnte“, „sollte“, „müsste“.
YAGNI und KISS sind in meinem Kopf Gebot – aber dieses Projekt steckt voll von „Nichts ist in Stein gemeißelt“.
Der betriebswirtschaftliche Rahmen ist vergleichsweise klar:
Zeiterfassung spart Verwaltungsaufwand, verbessert Projekt-Controlling, hilft bei Ressourcenplanung, sichert faire Entlohnung und schützt das Unternehmen vor rechtlichen Risiken – besonders, wenn es bald ernst wird mit den Bußgeldern für fehlende Erfassungspflichten[1].
Was mir allerdings Bauchschmerzen bereitet, ist der rechtliche Rahmen.
Nicht, weil die Gesetze unverständlich wären – sondern weil vieles noch auf Gerichtsurteilen basiert und (noch) nicht gesetzlich kodifiziert ist[2].
Das BAG hat entschieden, dass Arbeitszeiterfassung verpflichtend ist[3], aber das Gesetz, das dies konkret regelt, steht noch aus[4].
Dazwischen: eine Grauzone aus Referentenentwürfen, Kommentierungen und branchenübergreifender Spekulation.
Und dann wären da noch die anderen „Layer“:
- Datenschutz: Arbeitszeit ist personenbezogen[5], bei biometrischer Authentifizierung wird’s richtig kritisch[6].
- UX / UI: Wer will schon ein weiteres Tool, das sich wie Pflichtbürokratie anfühlt?
- Ethik und Moral: Wie viel Kontrolle ist zumutbar, wenn man Vertrauen erhalten will?
Wie formuliere ich ein Produkt, das fair ist – nicht nur compliant?
Kurz:
So ein richtig geiles Projekt.
Weil: Einfach wäre mir vermutlich zu langweilig.
Fußnoten:
- Betriebswirtschaftliche Risiken bei fehlender Zeiterfassung und geplante Bußgeldregelungen: BAG-Urteil 2022 und Referentenentwurf zur ArbZG-Novelle (2023).
- Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht auf Basis EuGH- und BAG-Urteil, ohne dass ein neues Gesetz verabschiedet wurde.
- BAG, Beschluss vom 13.09.2022 (Az. 1 ABR 22/21): Einführungspflicht für Arbeitgeber.
- BMAS-Referentenentwurf (Stand 2023): elektronische Erfassung, Aufbewahrungspflicht, Übergangsfristen geplant.
- DSGVO Art. 4 Abs. 1: Arbeitszeitdaten = personenbezogen.
- DSGVO Art. 9: Biometrische Daten (z. B. Fingerabdruck) sind besonders schützenswert.