„Ich glaube nicht an das Zeit-gegen-Geld-Prinzip. Ich glaube an Wirkung.“
— (frei nach einem Gespräch mit einem klugen Kreativen)
1. Ausgangspunkt: Warum überhaupt Maschinenstunden?
Fast jede Agentur kennt das Modell: Du sagst, wie viele Stunden du für Design, Konzept, Entwicklung brauchst — und multiplizierst mit einem Stundensatz.
Das ist schlicht und direkt: Zeitmessung → Multiplikation → Rechnung.
Viele Gründe sprechen dafür, besonders bei kleineren Projekten oder wenn der Kunde strikt nach Stunden abrechnen möchte:
- Die Transparenz ist naheliegend — Kunde sieht, wie viele Stunden gemacht wurden.
- Das Controlling ist einfacher: du kannst geplante Stunden gegen tatsächliche Stunden prüfen.
- Es skaliert: mehr Leute, mehr verkaufbare Stunden → mehr Umsatz (theoretisch).
Doch dieses Modell bringt systemische Verzerrungen mit sich.
2. Die Paradoxie der Effizienz: Wenn weniger Arbeit weniger Umsatz heißt
Eine zentrale Kritik: Sobald du effizienter wirst, sinkt dein Umsatz — wenn du weiterhin nach Stunden abrechnest.
Dieses Produktivitätsparadoxon der Stundenabrechnung zeigt sich, wenn bessere Technik oder Erfahrung Aufgabenzeit halbiert, aber auch die „verkäufliche Zeit“ schrumpft.
- Wenn eine Aufgabe schneller fertig wird, versucht das System sie zu verlängern: Meetings, Absicherungen, Dokumentationen.
- Der Druck, Stunden voll zu schreiben, erzeugt Fehlanreize: lieber „Zeit füllen“ als fokussiert liefern.
- Der Kunde kann kritisch werden, wenn „zu wenig Stunden“ abgerechnet werden — er denkt dann, man hätte nicht genug gearbeitet.
3. Verlagerte Kosten & unsichtbare Arbeit
Nicht alle Stunden sind „produktiv“ oder fakturierbar. Praxis unterscheidet zwischen
billable hours (Kundenzeit) und non-billable hours (z. B. interne Meetings, Prozesse, Weiterbildung, Verwaltung).
Viele Stunden im Agenturalltag verschwinden in Nebenschauplätzen, die nicht direkt zu Einnahmen führen — aber Kosten verursachen.
Wenn die Kalkulation nur die fakturierbaren Stunden betrachtet, wird der tatsächliche Stundensatz über die gesamte Zeit unterschätzt
und Deckungsbeiträge verwässern.
4. Die ethische Krux: Anreizverschiebung und Misstrauen
Stundenabrechnung setzt einen Incentive, Arbeit auszudehnen: lange Diskussionen, „Just-in-case“-Revisionen, Absicherungsaufwand.
Kund:innen misstrauen dem Modell oft, da sie „Aufblähung“ befürchten; in Branchen wie Kanzleien wird der Billable-Hour-Kult seit Jahren kritisiert.
5. Die Alternative: Wert statt Zeit verrechnen
Was wäre, wenn eine Agentur nicht Maschinenstunden verkauft, sondern Produkte, Ergebnisse, Wirkung?
Das Modell heißt oft Value-Based Pricing bzw. wertbasierte Projektpreise.
Vorteile
- Belohnung für Wirkung, nicht für Aufwand.
- Innovation und Effizienz werden positiv incentiviert.
- Kund:innen wissen vorher, was sie zahlen.
- Beziehung wird partnerschaftlicher: Lösung statt Zeitbündel.
Hürden & Kritik
- Wert zu messen ist schwieriger — vor allem extern kommunizierbar.
- Kund:innen müssen umdenken: gewohnt ist „Zeit kaufen“.
- Dienstleister trägt mehr Risiko, wenn der Wert nicht eintritt.
- In stark standardisierten Märkten ist Differenzierung schwieriger.
6. Ein hybrider Ansatz: Stunden + Wert + Retainer
Erfolgreiche Agenturen kombinieren Modelle:
- Retainer: monatlicher Fixbetrag für Vertrauen & Planbarkeit.
- Leistungsbasierte Boni: Aufschlag bei erreichten KPIs.
- Stunden für klar definierte Zusatzleistungen (z. B. Ad-hoc Support).
- Deckungsbeitragsrechnung intern, um faire Preisanker pro Leistung zu ermitteln.
7. Eine Beispielrechnung (fiktiv)
Zwei Agenturen, A und B, liefern dieselbe Website:
- Agentur A rechnet 100 Stunden × 100 €/h = 10.000 €.
- Agentur B kalkuliert Wert: Website bringt 50.000 € Mehrumsatz, nimmt 20 % → 10.000 €.
Beide Preise gleich — aber Gewinne differieren:
Wird A effizient und braucht nur 80 Stunden, sinkt ihr Umsatz auf 8.000 €.
B kann schneller liefern und behält 10.000 €, solange der Wert realisiert wird.
8. Fazit
Agenturen, die in Maschinenstunden denken, verkaufen ihre Fähigkeit, Zeit zu managen.
Das führt zu paradoxem Effizienzdruck, versteckten Kosten, Entfremdung von Wirkung und einem dauerhaften Misstrauensspiel mit Kund:innen.
Der radikalere Ansatz ist: in Wert denken.
Wirkung liefern, Nutzen argumentieren, Risiken teilen — und so eine Partnerschaft statt eines Taktgebers bauen.
Der Übergang ist ein Prozess, der Mut, Transparenz und solide Preislogiken braucht.
Wer in Maschinenstunden rechnet, verkauft Zeit. Wer in Wert rechnet, verkauft Zukunft.
Quellen & weiterführende Hinweise
Hinweis: Die obigen Quellen beleuchten Stunden- vs. Wertmodelle in unterschiedlichen Branchen (Agenturen, Kanzleien, Services)
und sind als Impuls zur Übertragbarkeit auf Digitalagenturen gedacht.